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Zielgruppe! Hä? (00)

Mein Neffe Dante Genoni steigt die Treppe seines frisch renovierten Bed&Breakfast hinab.
Dante vor dem B&B Villa Ricordo

Hello Dante

Ich habe zwei Thriller geschrieben und mir keine Gedanken darüber gemacht, wer sie lesen würde. 

Das stimmt nicht ganz: Hie und da, nachdem ich einen humorvollen Satz formuliert oder eine spannende Szene beschrieben hatte, stellte ich mir meine Leserschaft vor: 
Junge Männer aus dem Balkan, die Französisch nicht mögen, aber einen Krimi auf Deutsch oder Englisch als hilfreich für ihr Aufwachsen in der Schweiz erachten. Beim Lesen meiner Geschichten schmunzeln die einen, andere kriegen einen Lachanfall und einige stehen auf und laufen vor Spannung gepackt im Wohnzimmer ihrer Eltern herum. 

Auf diese Zielgruppe kam ich, weil ich die letzten paar Jahre vor meiner Pensionierung mit mehrgewichtigen Jugendlichen mit Migrationshintergrund gearbeitet hatte. 


Zielgruppe! Hä?

 
In den folgenden Monaten werde ich Kurzgeschichten meines englischen Vaters (dein Grossvater) aus seiner Zeit als Hotelier übersetzen und, zusammen mit Fotos einiger seiner Aquarelle, als Fotobüchlein veröffentlichen und auf meinen Webseiten zum Kauf anbieten. 

Für wen?


Ehemalige Gäste des Hotel-Restaurants Waldheim, die meinen Vater noch in Erinnerung haben? Einheimische, welche im damaligen Gartenrestaurant einen Coupe Romanof (Zwei Kugeln Erdbeer-, eine Kugel Vanilleeis, eine Handvoll Erdbeeren, viel geschlagene Sahne und, in das stabilere Eis eingesteckt, ein blaues Sonnenschirmchen auf einem hölzernen Zahnstocher) bestellt haben? 

Ich schenke den Entwurf meines Fotobüchleins mit den amüsanten Episoden aus dem Hotelalltag an drei benachbarte Ehepaare, die ihre 80. Geburtstage feiern. Sie zeigen riesige Freude daran. Bilden sie meine Zielgruppe? Oder veröffentliche ich:

Für seine damaligen Hotelgäste? 

Ich überlege: Sie müssten zwischen 90 und hundert Jahre alt sein, falls sie noch leben. Zu dieser Altersstufe finde ich weder Angaben zu deren Lieblingslektüre noch Hinweise auf deren Bedürfnisse.

Also für deren Kinder? 

Meine Eltern führten ein Familienhotel. Die Kinder unserer Gäste haben meinen Vater und sein Erzähltalent noch erlebt und sind jünger, also zwischen 70 und 80 Jahre alt.

Man müsse, so empfehlen mehrere Weise aus dem Netz, die Vorlieben, Hobbys, Haltungen seiner Zielgruppe genau kennen und wissen, welche Buchformate sie liest und wie viel Geld sie für ihre Bücher zahlt. 

Seufz!

Ich bin, zusammen mit deiner Mutter Alexandra im Hotel aufgewachsen. Der Lesestoff unserer Gäste wurde, nach ihrer Abreise, in einen Schuppen gebracht. Dort lagen die Zeitungen, Hefte und Illustrierten, bis unser Vater sie mit den Schnüren, die er jeweils von den Weihnachtspaketen abgenommen hatte, sorgfältig zu tragbaren Stapel verschnürte. Diese wurden dann im Herbst von den hiesigen Schulkindern abgeholt. Mit dem Erlös dieser Papiersammlungen konnten unsere Primarschüler sich eine Schulreise, zum Beispiel nach Melide zur Swissminiatur leisten. 

Weil mich das Lesegut unserer Feriengäste, vor allem die Illustrationen, interessierte, verbrachte ich viele Stunden heimlich im Unterstand. Im Dunkeln, hinter diesen Stapeln standen alte Gartenstühle, defekte Liegen sowie altmodische, wuchtige Bettgestelle und warteten Jahrzehnte auf ihre Entsorgung. Der Schuppen hatte ein Ziegeldach und lamellenartige Holzwände, sodass niemand mich von aussen sehen konnte, ich aber genügend Licht zum Betrachten der Photographien und zum Lesen der schundnahen Texte hatte.

 Zu meiner neuen Zielgruppe gehören also die Kinder unserer ehemaligen Hotelgäste. In ihrem zwei- bis dreiwöchigem Urlaub schwammen sie im See, ruderten mit einem Paddelboot herum und lagen im Liegestuhl oder auf ihren Badetüchern auf der Wiese. Hier lasen sie weder Kurzgeschichten noch anspruchsvolle Poesie sondern bildlastige Hefte wie Neue Revue, Glückspost, Bunte, TWEN, Pardon, Quick oder das Schlüsselloch. Nebenbei: Je gebildeter die Gäste, desto bildbetonter war ihre Ferienlekture! 

Tja, ich weiss nicht und überlege weiter.

Da gibt es nicht nur die Hotelgäste und deren Kinder, die als Zielgruppen in Frage kommen. Ich denke an weitere potentielle Zielpersonen. Zehn Jahre arbeitete ich mit drogen-, alkohol- und medikamentenabhängigen Menschen. Einige Jahrzehnte mit scheidungswilligen Ehepaaren, mit mehrgewichtigen Jugendlichen und schliesslich mit SchülerInnen, Lehrpersonen, Eltern und Politikern im Rahmen der Sucht- und Gewaltprävention.

 Juhui, da finde ich sicher zwei oder drei Menschen, die meine Bücher lesen und meine Fotografien aufhängen wollen. Oder ...? 

Dann finde ich die Lösung!

Eine Ratgeberin empfiehlt: Erstelle deine Wunschzielgruppe. Aha. Diese kenne ich bereits: Meine Leser:innen sind tierliebend, humorvoll, haben den Nobelpreis erhalten, stürmen meine Lesungen und applaudieren bei witzigen Bemerkungen. Sie schwitzen bei jeder Verfolgungsjagd und kaufen, kaufen, kaufen. Ja, genau!

Und welche Buchformate sie bevorzugen, was sie beschäftigt, berührt, welche Moraleinstellungen sie haben, interessiert mich nicht die Bohne. Sowieso: Wie kann ich die ethische Grundhaltung, den Lifestyle oder das Einkommen einer ganzen Gruppe herausfinden? Das muss mir so ein:e Marketingfritz:in mal erklären. Vielleicht reagiere ich auch deshalb gereizt auf die spekulativen Definitionen und den manipulativen Umgang mit Zielgruppen, weil ich selbst nicht gerne zu den alten, weissen Männern, dem übergriffigen Geschlecht, den Schnäppchenjägern, den Gebildeten, oder Ungebildeten, den … gehöre. 

Kannst du das nachvollziehen?

Zurück zu meiner Ratlosigkeit, die mich seit all diesen wohlgemeinten, für mich aber erfolglosen Ratschlägen bedrückt. Nochmals von vorne!

Dank dem Hotelfach, in dem ich aufwuchs, meiner Jobs im Gastgewerbe, in sozialen, therapeutischen und gesundheitlichen Berufsfeldern, bin ich vielen Menschen begegnet: Warum versuche ich nicht, sie zu meiner Zielgruppe, zusammenzustellen? Das Gemeinsame? Jede:r von ihnen ist mir gewollt oder ungewollt, bewusst oder ahnungslos, erfreulich oder unerfreulich mal begegnet. Zu dieser Gruppe könnte ich einige Figuren aus Vaters Erzählungen und meinen Thrillern sowie Verwandte, Freunde, Bekannte und die Kollegen meines Golfclubs hinzufügen.

Was meinsch? 

Du ahnst es, ich habe mich lange mit diesem Thema beschäftigt. Habe ich nun meine Zielgruppe? Ja. Weiss ich, woran sie leidet, welche Bedürfnisse sie aufweist und zu welcher sozioökonomischen oder bildungsmässigen Schicht sie gehört? Nein, und es ist mir Wurst. 

Zielgruppe: Hä? – Zielperson?:Okay!

Mit Hilfe meiner Posts möchte ich mehr Bücher und Fotos verkaufen. Aber ich will ja auch aus Neugier und aus Freude schreiben.

Ich entscheide mich dafür, meine Beiträge für jeweils eine Person zu schreiben. Das scheint mir persönlicher, vielfältiger, weniger manipulativ und spekulativ zu sein. Es wird mir Spass bereiten, mich an diese Menschen zu erinnern. Vielleicht werden sie auch zu Kund:innen?

Ich nenne sie Ziel- oder Ansprechpersonen. Oder Gäste. Oder contacts. Contact ist englisch und heisst auf Deutsch Verbindung, Kontaktperson, Ansprechpartner:in. 

Vielleicht kannst du dich, lieber Dante, hier mein erster Contact, mit dem einen oder anderen Contact anfreunden?

 

Jugendstilvilla mit schönem Garten, neu: Bed & Breakfast
Villa Ricordo, Tessin

Mein Neffe Dante hat sich vor ein paar Jahren in ein kleines, hübsches Dorf in der Nähe von Biasca im Kanton Tessin zurückgezogen. Dort begann er Hühner zu züchten, Früchte und Gemüse anzupflanzen und sich als Selbstversorger mit den Einheimischen auszutauschen. 

Vor Kurzem hat er eine alte Jugendstilvilla sorgfältig renoviert und bietet nun Übernachtungsmöglichkeiten an: 

https://www.villaricordo.ch

Poster mit Foto und Text aus einer Szene, Tod am Mittwoch, Paul Townend
Poster mit Foto und Text aus Thriller

Hello Dante
Ich wünsche dir, dass du für dein neues Projekt, dem B&B Villa Ricordo, viele, viele Zielpersonen ansprichst und zahlreiche bereichernde Begegnungen mit deinen Gästen, tolle Erlebnisse und viel Freude an der Arbeit haben wirst.

Solltest du ein Poster mit einem Foto von Aquarellen deines Grossvaters Paul Townend, versehen mit Texten aus seinen Büchern, aufhängen wollen, siehe hier meine beiden Vorschläge oder auf: https://www.fineswissphoto.com. 

Dein Onkel Malu, https://www.townend.ch

 


Blick in das Zimmer Townend, Sicht vom Fenster auf Semione, englische Telefonkabine beim Eingang
Camera Townend

 

 

Die Villa Ricordo ist ein gepflegtes B&B in einer alten Jugendstilvilla mit schönem Park. Wir bieten Übernachtung mit Frühstück an.

Semione ist ein ruhiges Dorf in der Nähe von Biasca, etwas abseits der Lukmanier- Durchgangsstrasse gelegen. Die nähere und weitere Umgebung bietet viele Möglichkeiten zum Wandern, Biken und Velofahren an

Villa Ricordo